Einführung „Befund“: Klinische Tests der Gelenke und Gewebe

 

Die Klinischen Tests folgen einer rationellen Reihenfolge, bei welchem SFT sich an den Empfehlungen der Kursreihe „Untersuchungstechniken am Bewegungssystem“ der Ärztekammer Hamburg modifiziert orientiert hat.

An den zu untersuchenden Gelenken werden Tests mit einer hohen Sensitivität und Spezifität ausgewählt. Es gibt natürlich eine weitere Vielzahl von Tests, welche hier eventuell nicht besprochen werden. Wer über Wissen weiterer Tests verfügt, kann selbstverständlich auf einen eigenen Fundus zurückgreifen. Die klinischen Tests müssen alle mit Gefühl angewendet werden. Der Autor bittet deshalb den Anwender, folgenden Satz zu verinnerlichen:

 

Da es sich im Allgemeinen um Provokationstests handelt, sollte nur die notwendige Energie aufgebracht werden, um die Antwort auf die Fragestellung zu bekommen, ohne einen weiteren Gewebsschaden zu setzten.

 

Sensitivität: Die Sensitivität eines diagnostischen Testverfahrens gibt an, bei welchem Prozentsatz erkrankter Patienten die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird, d.h. ein positives Testresultat auftritt.

Sie wird definiert als der Quotient aus  richtig positiven Testergebnissen und der Summe aus richtig positiven und falsch negativen Testergebnissen. Je höher die Sensitivität eines Tests ist, desto sicherer erfasst er die Erkrankung.

Die Berechnung erfolgt folgendermaßen:

Sensitivität = Richtig als „krank“ Erkannte / alle Erkrankte

 

Spezifität: Die Spezifität eines  diagnostischen Testverfahrens gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass tatsächlich Gesunde, die nicht an der betreffenden Erkrankung leiden, im Test auch als gesund erkannt werden.

Sie wird definiert als der Quotient aus richtig negativen Testergebnissen und der Summe aus falsch positiven und richtig negativen Testergebnissen, also allen Testergebnissen, denen tatsächlich keine Erkrankung zugrunde lag.

Die Berechnung erfolgt folgendermaßen:

Spezifität = Richtig als „gesund“ Erkannte / alle Gesunden

 

Die Sensitivität und Spezifität ist immer abhängig von der Qualität der Ausführung. Somit macht es mehr Sinn, sich mit einigen Test sehr vertraut zu machen, als viele oberflächig zu beherrschen. Ein gutes klinisches Konzept sollte von vielen Anwendern zeitnah beherrscht werden können und nicht nur von wenigen sehr erfahrenen und hochausgebildeten Personen.

 

Schmerz:

Für alle in der Medizin tätigen Berufsgruppen ist es erforderlich, sich mit der Thematik „Schmerz“  zu beschäftigen. Die dahinter streckenden pathobiologischen Mechanismen, spielen eine Rolle in der Diagnostik und klinischen Befundung. SFT möchte deshalb zunächst zusammenfassend, die Differenzierung der Schmerzmechanismen erläutern.

SFT orientiert sich hierbei insbesondere am Buch „Schmerzen verstehen“, von David Butler und Lorimer Moseley (Springer Verlag).

 

Die Schmerzmechanismen werden folgendermaßen unterteilt:

  • Input-Problem
  • Verarbeitungsproblem
  • Output-Problem

Alle Schmerzen werden im Kopf, von unserem Gehirn, wahrgenommen. Bei vielen akuten Schmerzen kommt es im Gewebe zu einer nozizeptiven oder peripher neurogenen Reizaufnahme. Hieraus ergibt sich zumeist ein klares klinisches Bild.

Für die Aufnahme von Gewebsinformationen stehen dabei verschiedene Sensoren zur Verfügung, nämlich mechanische, chemische und thermische. Diese Sensoren haben eine kurze Lebensdauer, was bei dem Umgang mit akuten und auch chronischen Schmerzen eine hohe Bedeutung hat.

 

Es ist aber keine Voraussetzung für die Schmerzempfindung, dass im Gewebe nozizeptive Reizaufnahme (Gefahrensinn) erfolgt.

 

Die verschiedenen Sensoren leiten ihre „Gefahren-Informationen“ (Summation), nach einem „Alles-oder-nichts-Prinzip“, als Aktionspotential in Richtung Rückenmark.

Aus diesen Botschaften müssen Rückenmark und Gehirn nun ermitteln, ob die Gefahrenmeldung zu einem Schmerz führen soll. Im Rückenmark werden die Botschaften sortiert und in Form chemischer Substanzen in den Synapsen fortgeleitet.

Butler und Moseley vergleichen diese Sortierung mit einem „Postamt“. Unter bestimmten Umständen kann es zu einer unsortierten Weitergabe von Botschaften in Richtung Gehirn kommen. Im Rückenmark ist „Unruhe“.

Das Gehirn ist aber immer in der Lage, sofern es die Notwendigkeit sieht, das „Postamt im Rückenmark“ zu schließen.

Dieses funktioniert über körpereigene Chemikalien (Endorphine/ Opiate, Neurotransmitter/ Serotonin). Die Alarmbereitschaft im Gewebe kann dann über  absteigende Bahnen reduziert werden.

Werden nun Gefahren-Botschaften über das Rückenmark (Hinterhornneurone) an das Gehirn weitergeleitet, so muss dieses darüber entscheiden, welcher Reaktionsmechanismus sich daraus entwickelt.

So kann aus den Botschaften genauso ein Schmerz entstehen, wie eine Bewegung, Schweißproduktion, Schwellung usw. (Output-Probleme).

Das Gehirn nutzt für die Schmerzverarbeitung verschiedene Areale, sog. Schmerzknotenpunkte. Jede Schmerzerfahrung ist dabei einzigartig, individuell. Die Hirnareale sind Anhäufungen von Neuronen, beispielsweise für Sensibilität, Bewegung und Emotionen. Bei chronischen Schmerzen werden diese Schmerzknotenpunkte nun wiederholt benutzt, was unserem Schmerzgedächtnis (Melzacks Neuromatrix) entspricht. Es stehen dem Gehirn etwa 100 Milliarden Neurone, mit Tausenden von Verknüpfungsmöglichkeiten zur Verfügung, welche Informationen aus Millionen von Sensoren des Gewebes auswerten.

 

Wofür ist dieses Grundwissen bei der Diagnostik und somit auch bei den klinischen Tests notwendig?

 

Bei schon lange bestehenden Beschwerdebildern (Chronizität), sollte man in Erwägung ziehen, dass nicht jede Schmerzwahrnehmung zwingend aus einer Gewebsmeldung resultiert.

 

Der Schmerzmechanismus kann sich vom Input-Problem zum Verarbeitungsproblem verschoben haben. Alle im Folgenden besprochenen klinischen Tests basieren auf der Annahme, dass es sich bei der Störung um ein Input-Problem handelt. Auch Schmerz-Verarbeitungsprobleme können auf diese Tests positiv reagieren. Diese Kenntnis sollte man bei vorliegender Chronizität in sich tragen. Die Ursache der Beschwerden kann sich aber schon vom peripheren Nervensystem auf das zentrale Nervensystem verschoben haben.

Die Therapie chronischer Beschwerden sollte aus diesem Grund auch Schmerzstrategien (zum Beispiel von „Butler und Moseley“) beinhalten.

Da weisungsgebundene Berufsgruppen derzeit keine Diagnose stellen, sondern einen Befund, erläutern wir im Folgenden den „Weg zum Befund“, auch wenn er klinisch genauer sein kann, als zahlreiche „Wege zur Diagnose“.

 

Allgemeiner Teil: „Der Weg zum Befund (Diagnose)“

 

Allgemeines zur Anamnese:

 

Es werden zunächst die wichtigsten Informationen darüber gesammelt, ein klinisches Muster zu erkennen.

Dafür ist der zuvor besprochene „Pathobiologische Mechanismus“ (Schmerzmechanismus) ein Bauteil. Liegt bereits eine Chronizität vor, oder sind die Beschwerden peripher zu vermuten?

Der nächste Gedanke, sollte mögliche Kontraindikationen eruieren. Dafür sollte man „Red flags“ und „Yellow flags“ setzen, die für einen „First contact“ unerlässlich, aber auch für einen „Second contact“ gleichermaßen bedeutungsvoll sind.

 

SFT-Sicht:

 

Während es sich bei den „Red flags“ um ernsthafte Warnsignale für ärztlich abzuklärende Pathologien (Gegenanzeigen) handelt, können „Yellow flags“ sowohl als begünstigende Faktoren einer Chronifizierung, wie auch als mögliche Risikofaktoren für die Entstehung einer ernsthaften Pathologie gesehen werden (Vorsicht).

 

Für SFT ist es nicht wichtig, ob es sich um einen Erstkontakt oder Zweitkontakt handelt.

 

Der Erstkontakt kann diagnostische Fehler enthalten, den der Zweitkontakt aufspüren sollte. Durch ein „Verlassen“ auf den Erstkontakt, kann sich der „Zweitkontakt“ manchmal viel schwieriger gestalten.

 Diese Feststellung hat nichts mit einem generellem Misstrauen einer anderen Berufsgruppe gegenüber zu tun, sondern nur mit einer „Einzelfallskepsis“. Und wir stehen alle laufend vor neuen Einzelfällen. Im Rahmen einer monodisziplinären oder interdisziplinären Kommunikation, die im Alltag nicht flächendeckend möglich ist, können die Fragen gemeinsam geklärt werden.

 

Beispiele von „Red flags“:

 

  • Tumor: Alter < 20 Jahre oder > 50 Jahre, vorherige Krebserkrankung, ungeklärte Gewichtsabnahme, keine Symptomverbesserung nach einem Monat. (4 Faktoren im Kollektiv). Der entscheidende Faktor ist die vorherige Krebserkrankung. B-Symptomatik (Nachtschweiß, Fieber, Gewichtsverlust)

     Weitere Faktoren: Die Erkrankung passt zu keinem klinischen Muster einer muskuloskelettalen Dysfunktion, progredienter Verlauf, Abnahme der Belastungstoleranz, Nachtschmerz, pulmonale Symptome mit Atmungsschmerzen, anhaltender, ungeklärter Husten, palpables Gewebe entlang eines Röhrenknochens…

  • Fraktur: Schmerzen nach einem Trauma (z.B. Sturz aus über 1 Meter Höhe), sichtbare und tastbare Deformität, unklare Schmerzen bei einer bekannten Grunderkrankung wie Osteoporose, Medikament mit Auswirkung auf die Knochenintegrität, Parästhesien in den Armen oder Beinen nach einem Sturz, Patient kann keine vier Schritte nach Sturz gehen (Knie)…
  • Integrität des Rückenmarks: Neurologische Symptome (bilateral), Ganganomalien, Babinski-Zeichen, Veränderung des Reflexverhaltens, Verlust der Blasen- und/oder Darmfunktion (Cauda equina), progrediente Neurologie…
  • Körpersysteme (innere Organe): Heftiger, lang anhaltender Brustschmerz mit Ausstrahlung, Schmerz ist belastungsabhängig und nicht bewegungsabhängig, Übelkeit, Erbrechen, Vernichtungsgefühl, Dyspnoe, Urin-/Stuhlstatus…

  • Schmerz: Nachtschmerz VAS >7 (7/10), progredienter Schmerz

  • Medikamente/Drogen: ggfs. Wirkungen und Nebenwirkungen analysieren

Allgemeine Übersicht der rationellen Reihenfolge im SFT: (modifiziert , orientiert an den Empfehlungen der Ärztekammer Hamburg: „Der geübte Griff-2017“) 

 

1. SFT/ „Orthopädische“ Anamnese:

 

1.1. Allgemeine Anamnese (Red flags, Yellow flags, Schmerzmechanismus)

1.2. Soziale Anamnese (Alter, Familie, Beruf, Hobbies)

1.3. Spezielle Anamnese: Aktuelle Beschwerden, Auslöser, Bisheriger Verlauf, vorherige Therapien mit möglichen Reaktionen, aktuelle Medikation und etwaige Versorgung, Nebendiagnosen/-befunde

 

2. SFT/ „Orthopädische“ Inspektion (in Ruhe und Bewegung)

 

2.1. Haltung

2.2. Gang/ Lauf

2.3. Konturen

2.4. Haut

2.5. Hilfsmittel

 

3. SFT/ „Orthopädische“ Palpation (in Ruhe und Bewegung)

 

3.1. Kontur („Umriss“)

3.2. Struktur („Bauteil“)

3.3. Temperatur

 

4. SFT/ „Orthopädische“ Funktionsprüfungen

 

4.1. Aktive und passive Bewegungstests/ „Funktionstests“

4.2. Schmerzreproduktion

4.3. Schmerz bei: Kompression und/oder Traktion, Dehnung, Anspannung

4.4. Stabilitätstests (Bewegungsweg und -Bewegungsanschlag)

4.5. Gelenktests

4.6. Muskeltests

4.7. Nerventests

4.8. Gefäßtests

 

Die numerische Reihenfolge dient nur der Übersicht und soll helfen, eine klinische Differenzierung zu erhalten, ohne wichtige Aspekte zu übersehen.

Manche gefundene, partielle Störung des Systems, muss trotzdem im Kontinuum betrachtet werden.

 

„Befund: Klinische Tests der Gelenke und Gewebe“. SFT empfiehlt eine feste Reihenfolge.

 

       I.    Welcher Teil des Arthrons (Funktionseinheit/ Gelenkteil) ist betroffen?

1.     Lokal (artikulär und/oder extraartikulär)

2.     Fortgeleitet (neurogen, vaskulär)

 

    II.    Welcher Art ist die Störung?

1.     Mechanisch (traumatisch, degenerativ, tumorös)

2.     Entzündlich (rheumatisch, infektiös, metabolisch)

 

 III.         Welchem bekannten Krankheitsbild ist die Störung zuzuordnen? Ist ein klinisches Muster erkennbar?

 

Auf welche FDM-Diagnose lässt die Blickdiagnostik schließen?   

   

Der spezielle Teil „Klinische Tests“, untergliedert sich, wie das Kapitel „MSU“, aufsteigend vom Fuß über Knie, Hüfte, Schulter, Ellenbogen zur Hand.