Spezieller Teil 2 :Differentialdiagnostik und Pathologien/

Klinische Tests der Gelenke und Gewebe

 

Abschnitt 2 “Knie“ (K) 

 

Der Weg zur Diagnose (siehe allgemeiner Teil) ist an den Gelenken des Körpers ähnlich, jedoch aufgrund der Anatomie (z.B. Anzahl der Gelenkpartner) auch etwas spezifisch.

Das erste Ziel der Diagnostik differenziert die Orte des pathologischen Geschehens (Ortsdiagnose) und unterscheidet so artikulär versus extraartikulär.

Im Kontinuumdenken erscheint diese Unterscheidung vielleicht absurd, weshalb betont werden sollte, dass es bei der Differenzierung nur darum geht, den dominanten Störfaktor zu ermitteln.

Primär artikuläre Pathologien können sich schnell zu klinischen Mustern mit extraartikulärer Beteiligung entwickeln. Umgekehrt können extraartikuläre Störungen zu einer eingeschränkten Beweglichkeit des Gelenkes führen und bei Chronizität eine Veränderung des Arthrons hervorrufen.

 

In der Eile des klinischen Alltages werden am Kniegelenk primär extraartikuläre Störungen oft nicht als solche gedeutet.

Bei diesen Strukturen handelt es sich häufig um die weniger populären Strukturen. Die bekannten intraartikulären Strukturen sind die Kreuzbänder und Menisken, sowie der Gelenkknorpel.

Populäre extraartikuläre Gewebe sind das Innen- und Außenband, die Patellarsehne vielleicht mit leichter Einschränkung.

Was aber ist mit dem MPFL (Medio Patellofemorales Ligament)? Wie sieht es mit den zahlreichen Bursen (Bursa präpatellaris, Bursa infrapatellaris superficialis et profunda, Bursa anserina) aus? Welche Rolle spielt dabei das intrakapsuläre Hoffa´sche Fettgewebe? Welche funktionelle Auswirkung hat die Hüftstellung (Antetorsion und Rotation) auf den Q-Winkel (Quadrizeps- Winkel) und somit auf die Peripatellaren Gewebe? In welchem Winkel (allen drei Ebenen) inseriert die Patellarsehne an der Tibia und wo dort? Wie abhängig ist dieses von der Extensions- oder Hyperextensionsbeweglichkeit des Knies? Wie verändert ein pes planus die Kniegelenksstellung?

Wie man sieht, spielen biomechanische Fragen eine große Rolle, die funktionellen Fragestellungen am Kniegelenk zu verstehen und pathologische Muster zu erkennen. Biomechanische Besonderheiten führen zwangsläufig zu einer extraartikulären Gewebsveränderung.

Die Gewebsveränderungen müssen erst als Pathologie aufgefasst werden, wenn von der Norm abweichende, wandelbare Bestandteile des Bewegungsapparates (Schutz für erhöhte Gewebsbelastung) zu nozizeptiver Signalgebung führen.

 

Beispiel: Eine junge Patientin mit einer persistierenden Tendenz zu einem pes planus (in den Entwicklungsphasen zunächst normal) und innenrotatorischer Abweichung des Hüftgelenkes (somit Tibiakopf-Außenrotation), hat im Kniegelenk eine valgische Achsstellung.

Bei gleichzeitiger Hyperextensionsfähigkeit des Kniegelenkes (Genu recurvatum 5-10°) und anlagebedingter Abflachung der Trochlea femoris (Trochleadysplasie), neigt die ggfs. ebenfalls dysplastische Patella zu einer Lateralisierung mit Luxationstendenz.

Der Körper möchte seine Funktion aufrecht erhalten und das Patellofemorale Gelenk schützen. Er muss allerdings den äußeren Rahmenbedingungen folgen. Die Patella stabilisierenden Bänder verstärken sich einseitig, an anderer Stelle entsteht Hyperlaxität. Der Quadriceps adaptiert im Muskeltonus (hypertoner vastus lateralis, hypotoner vastus medialis), der retropatellare Druck steigt lokal, der Knorpel wird dort mehr belastet, der Knochen verdichtet sich und die Hoffa´schen Fettkörper hypertrophieren zur äußeren Stabilisation.

Infolge veränderter Kraftübertragung vom Oberschenkel auf den Unterschenkel kommt es zur retropatellaren Chrondromalazie, Patellarsehnenreizung, Bursitis infrapatellaris profunda…

Es handelt sich nur um ein Beispiel einer möglichen Verkettung. Jede Veränderung einer Einzelkomponente verändert die Biomechanik und somit auch die Folgekette.

 

Aus diesem Grund ist beim Kniegelenk auf dem Weg zur Diagnose, neben der Differenzierung artikulär versus extraartikulär, die Biomechanik zu erörtern mit der Fragestellung nach dem Huhn oder Ei (Was ist das dominierende Problem?).

Ist die „Entzündungssuppe (Butler und Moseley)“ Ursache oder Ort der Schmerzmeldung und ist sie überhaupt Ort der Schmerzmeldung (Schmermechanismen)?

 

Die überwiegenden Fragestellungen der Tests am Kniegelenk richten sich nun auf die intraartikulären und populären extraartikulären Strukturen.

Der Untersucher sollte dabei aber die erwähnten Strukturen als funktionelles extraartikuläres Weichteilgewebe (FEW) in Erinnerung haben. Im SFT spielt auch hier das Kontinuumdenken (siehe Betrachtung der Faszien im Modell) eine zentrale Rolle.

 Anamnese Knie:

  1. Allgemeine Anamnese (Red/Yellow flags, Schmerzmechanismus
  2. Soziale Anamnese
  3. Spezielle Anamnese:
  • Gab es ein Trauma oder einen anderen spontanen Beginn?
  • Seit wann tut es weh?
  • War da etwas Besonderes?
  •       Wie ist die Schmerzentwicklung (Ermüdung, Belastung, Anlauf, Bewegung, Ruhe, Nacht)?
  • Wie ist der Schmerzcharakter (stechend, punktuell, flächig, ausstrahlend, kribbeln, brennend)?
  • Kontinuierlicher oder intermittierender Schmerz, zunehmend oder abnehmend?
  •       Welche subjektive Funktionsbeeinträchtigung liegt vor?
  •       Gibt es ein Instabilitätsgefühl?
  • Liegen Gelenkblockaden vor?
  •       Welche Therapien wurden schon durchgeführt? Gab es Infiltrationen?
  • Ggfs. Rheumaanamnese  

Inspektion Knie (Beispiele):

  • Knochenrelief betrachten: Sind Osteophyten erkennbar?
  • Muskelrelief betrachten: Sind Hypotrophien auffällig?
  • Gelenkrelief betrachten: Zeigt sich eine Füllung im Recessus suprapatellaris?
  • Beinachsstellung betrachten: Liegt ein X-Bein/ O-Bein vor? Wie steht die Patella? Wie stehen die Fußgewölbe und Hüften
  • Wie steht die Patella bei der Bewegung?
  • Gangbild betrachten: Hinken, Hilfsmittel, Schuhwerk
  • Blickdiagnostik von ventral, dorsal und lateral

Funktionsüberprüfung Knie

Bevor nun mit Besprechung der Differentialdiagnostik und den Pathologien begonnen wird, noch eine Definition zur Nomenklatur.

Wann wird von einer Hyperlaxität und wann von einer Instabilität gesprochen?

  

Hyperlaxität: Von einer Hyperlaxität spricht man, wenn die translatorische Beweglichkeit über die Norm hinaus abweicht.

 

Instabilität: Von einer Instabilität spricht man, wenn die translatorische Beweglichkeit über die Norm hinaus abweicht (also Hyperlaxität vorliegt) und Schmerzen bestehen.

Weitere Informationen finden sich unter "Grundlagen der Befundung", sowie auf den Befundbögen des Kapitels "Knie".